Impuls zum 4. September
Von Monika Bossung-Winkler, Diözesanverband Speyer
„Feindschaft überwinden – Frieden stiften“
In diesen Tagen findet die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen statt – erstmals in Deutschland, in Karlsruhe. An diesem Wochenende sind die Delegierten in der Region unterwegs, unter anderem in der Friedenskirche St. Bernhard in Speyer. Sie werden die Kirche und die dortige pax-christi-Kapelle kennenlernen und sich am Nachmittag über „Sicherheit neu denken“ austauschen.
Zusammen mit der Speyrer Pfarrei Pax Christi feiern wir auch einen ökumenischen Gottesdienst, den ich in Auszügen mit Euch teilen möchte.
Der Tag steht unter dem Motto „Feindschaft überwinden – Frieden stiften“. Das ist unsere Aufgabe als Christinnen und Christen. Leider werden wir diese Aufgabe nicht immer gerecht. Es ist eine gute christliche Tradition, sich unsere Schuld bewusst zu machen und Gott um Vergebung zu bitten.
Kyrie
Herr Jesus Christus, weltweit gibt es fast 30 Kriege oder bewaffnete Konflikte. Oft kämpfen auf beiden Seiten Christinnen und Christen. Noch gibt es innerhalb unserer Kirchen zu wenige Menschen, die sich gewaltfrei für Versöhnung einsetzen. Herr, erbarme dich.
Herr Jesus Christus, auch ohne direkten Waffeneinsatz sterben Menschen durch Wirtschaftskriege oder weil ihnen der Zugang zu Wasser, Land und Ressourcen verwehrt wird. Nicht immer engagieren sich die Kirchen ausreichend für eine gerechte Verteilung der Güter und die Chance auf ein gutes Leben für alle Menschen. Christus, erbarme dich.
Herr Jesus Christus, auch mit deiner guten Schöpfung leben wir nicht im Einklang. Wir entnehmen ihr gewaltsam Rohstoffe, schädigen die Natur durch unsere Abfälle und Treibhausgase und beschleunigen das Artensterben. Scheinbar haben wir immer noch nicht verstanden, dass wir nicht nur die Erde gestalten, sondern auch behüten und bewahren müssen. Herr, erbarme dich.
Guter Gott, in deinem Reich werden Schwerter zu Pflugscharen und Lanzen zu Winzermessern. Schau gnädig auf diese Welt, in der Frieden und Gerechtigkeit oft so fern erscheinen. Stärke unser Vertrauen auf die Liebe Christi, welche die Welt bewegt, eint und versöhnt. Darum bitten wir durch Jesus Christus, unseren Herrn und Bruder. Amen.
Lesungstext Apg 9, 1-20
Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn und ging zum Hohenpriester 2 und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, damit er Anhänger des neuen Weges, Männer und Frauen, wenn er sie dort fände, gefesselt nach Jerusalem führe. 3 Als er aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; 4 und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich? 5 Er aber sprach: Herr, wer bist du? Der sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst. 6 Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst. 7 Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen sprachlos da; denn sie hörten zwar die Stimme, aber sahen niemanden. 8 Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen aufschlug, sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus; 9und er konnte drei Tage nicht sehen und aß nicht und trank nicht.
10 Es war aber ein Jünger in Damaskus mit Namen Hananias; dem erschien der Herr und sprach: Hananias! Und er sprach: Hier bin ich, Herr. 11 Der Herr sprach zu ihm: Steh auf und geh in die Straße, die die Gerade heißt, und frage in dem Haus des Judas nach einem Mann mit Namen Saulus von Tarsus. Denn siehe, er betet 12 und hat in einer Erscheinung einen Mann gesehen mit Namen Hananias, der zu ihm hereinkam und die Hand auf ihn legte, damit er wieder sehend werde. 13 Hananias aber antwortete: Herr, ich habe von vielen gehört über diesen Mann, wieviel Böses er deinen Heiligen in Jerusalem angetan hat; 14 und hier hat er Vollmacht von den Hohenpriestern, alle gefangenzunehmen, die deinen Namen anrufen. 15 Doch der Herr sprach zu ihm: Geh nur hin; denn dieser ist mein auserwähltes Werkzeug, daß er meinen Namen trage vor Heiden und vor Könige und vor das Volk Israel. 16 Ich will ihm zeigen, wieviel er leiden muss um meines Namens willen. 17 Und Hananias ging hin und kam in das Haus und legte die Hände auf ihn und sprach: Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, dass du wieder sehend und mit dem heiligen Geist erfüllt werdest. 18 Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen, und er wurde wieder sehend; und er stand auf, ließ sich taufen 19 und nahm Speise zu sich und stärkte sich.
20 Und alsbald predigte er in den Synagogen von Jesus, dass dieser Gottes Sohn sei.
Quelle: Übersetzung Martin Luthers, revidiert 1984
Auslegung
Das sogenannte „Damaskus-Erlebnis“ gehört sicher zu den bekanntesten Texten des Neuen Testaments. Es markiert eine Wende in der Geschichte der frühen Kirche. Einer, der die junge Christengemeinde auf Äußerste verfolgt, erkennt auf einmal seinen Fehler und wird zu einem der wichtigsten Verkünder des Evangeliums.
Gibt es so eine schlagartige Bekehrung? Wie wird so etwas ausgelöst? Handelt es sich vielleicht bei dem Text vom „Damaskus-Erlebnis“ nicht eher um eine Verdichtung eines Prozesses, den Paulus durchlebte. Schauen wir uns die einzelnen Elemente dieses Prozesses näher an.
Zu Beginn des Textes wird Paulus nicht nur als jemand geschildert, der den Glauben an Jesus Christus ablehnt, sondern als Gewalttäter. Er droht nicht nur den Christen, sondern er will sie töten, morden. Der englische Text spricht von „eager“ – eifrig sein. Im Luthertext „schnaubt“ Paulus mit Drohen und Morden. Diese Gewaltbereitschaft erfüllt nicht nur Paulus selbst, sondern er stachelt auch die jüdischen Gemeinden in Damaskus zur Gewalt gegen die Anhänger Jesu an.
Paulus setzt – natürlich zusammen mit anderen fanatischen Gegnern der Christen – eine Gewaltspirale in Gang. Schon bei der Steinigung des Stephanus, des Ersten, der wegen seines Glaubens an Jesus Christus hingerichtet wurde, war er anwesend.
Ist die Gewaltspirale in Gang gesetzt, macht sie blind und taub für Verständigung. Der us-amerikanische Theologe Walter Wink beschreibt in seinem Buch „Verwandlung der Mächte“, die spirituelle Dimension hinter dem materiellen Geschehen. Die Bibel nennt sie „Mächte und Gewalten“ oder „Dämonen“. Wink erläutert beispielsweise, wie bei einem Fußballspiel normalerweise anständige Menschen plötzlich fähig sind, Menschen nieder zu knüppeln, deren einziger Fehler darin besteht die gegnerische Mannschaft anzufeuern.
Besonders in bewaffneten Konflikten erleben wir diese Dämonen, die aus Familienvätern plötzlich Vergewaltiger, Folterer und Mörder machen. Ist die Spirale der Gewalt in Gang gesetzt, wird die Rhetorik der Gegner immer ähnlicher. Forderungen nach einem Waffenstillstand werden zurückgewiesen, jeder will nur aus einer Position der Stärke heraus verhandeln. Die Gegner sprechen nicht mehr miteinander. Jeder stellt für Verhandlungen zunächst Bedingungen auf, die für den anderen nicht annehmbar sind.
Von einer solchen Macht getrieben, ist Paulus auf dem Weg nach Damaskus. Was mit dem Licht vom Himmel, das ihn plötzlich umleuchtete, gemeint ist, wissen wir heute nicht mehr. Jedenfalls bringt ihn eine einfache Frage aus dem Konzept: Warum verfolgst du mich?
Diese Frage hatte er sich offensichtlich noch nicht gestellt. Denn er weiß keine Antwort. Sie zwingt ihn aber, inne zu halten in seinen Tötungsabsichten. Da er keine Antwort weiß, stellt er eine Gegenfrage: Wer bist du? Die Antwort irritiert ihn noch mehr: Ich bin Jesus, den du verfolgst.
Plötzlich ist Paulus direkt mit dem konfrontiert, dessen Anhänger er verfolgt hat. Diese Begegnung ist für ihn im wahrsten Sinne des Wortes „umwerfend“. Alle seine Überzeugungen werden in Frage gestellt. Er erkennt seine eigene Blindheit. Er erkennt, dass er durch seinen Hass gegen Jesus und seine Anhänger orientierungslos war.
Auch nach der Begegnung mit Jesus ist er weiterhin orientierungslos. Nur seine bisherigen Überzeugungen sind in Frage gestellt. Noch müssen ihn Andere führen.
Um ihn zu orientieren, ist eine weitere Person notwendig. Hananias. Ausgerechnet einer von denen, die sich vor Paulus fürchten müssen. Paulus hat ja den Brief, die Anhänger Jesu zu verhaften, in der Tasche. Paulus trägt sozusagen einen Haftbefehl für Hananias bei sich.
Trotz großer Zweifel geht Hananias zu Paulus. Durch ihn kann Paulus wiedersehen. Hananias gibt ihm Orientierung. Um es mit Walter Wink zu sagen: die Macht, von der Paulus besessen war, verwandelt sich. Mit dem gleichen Eifer, mit dem er zuvor die Christen verfolgte, wird er zu einem Boten der frohen Botschaft Jesu.
Die Gewaltspirale, in der Paulus sich befand, wurde durchbrochen durch die Konfrontation mit Opfern der Gewalt: zunächst mit Jesus, der fragt: warum verfolgst du mich? Dann mit Hananias, der sich um ihn kümmert, obwohl er weiß, dass Paulus ihn verhaften und töten könnte.
Was wir hier bei Paulus gesehen haben, ist auch Teil dessen, was Walter Wink den „dritten Weg Jesu“ nennt: aktive Gewaltfreiheit. Hannanias hatte es in der Hand, den Christenverfolger Paulus, der jetzt durch seine Blindheit eingeschränkt war, für den Mord an Stephanus zu bestrafen. Hananias hätte aber auch seiner Angst vor Paulus nachgeben und sich weigern können, ihn zu treffen.
Doch nur die Begegnung bewirkt, dass die Feindschaft überwunden wird. Nur so können beide von ihrem Hass und ihrer Angst erlöst werden. Hananias hat sicher Paulus nicht nur die Hand aufgelegt. Sie haben miteinander geredet und – was noch viel wichtiger ist – einander zugehört. Und so lernt Paulus, was er dann später selbst in den Synagogen predigt: Jesus ist der Sohn Gottes.
Zu Beginn des letzten Jahrhunderts lernten deutsche Kinder in der Schule den Erbfeind Frankreich zu hassen. Als Bischof Theás 1944 mit deutschen Kriegsgefangenen einen Gottesdienst feierte, wurde er in seinem Land angefeindet. Es erforderte Mut, schon wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs in das Land des ehemaligen Kriegsgegners zu reisen; Jugendaustausche zu organisieren; Städtepartnerschaften aufzubauen.
Als 1948 in Kevelaer die deutsche Sektion von pax christi gegründet wurde, brachte Bischof Théas deutschen Kindern ihre Väter aus der Kriegsgefangenschaft in Frankreich zurück. Vielleicht hatten manche von ihnen wirklich auch das begangen, was wir heute als Kriegsverbrechen bezeichnen. Vielleicht hätten sie nach heutiger Rechtssprechung auch eine längere Strafe verdient gehabt.
Aber sie waren auch Familienväter. Sie hatten Kinder, die 1948 zum ersten Mal die Heilige Kommunion empfingen. Sie bekamen eine Chance auf einen Neu-Anfang. So begann die Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich.
Heute sind für uns Schüleraustausche und Urlaube in Frankreich eine Selbstverständlichkeit. Das Damaskus-Erlebnis von Paulus und die deutsch-französische Geschichte können uns lehren, dass Feindschaft überwunden werden kann.
Fürbitten
Das Herzstück der ökumenischen Bewegung ist das Gebet. Im Miteinander und füreinander beten können wir die Einheit erfahren, die uns als kirchliche Institutionen noch fehlt. Ein ökumenischer Fürbittkalender führt über ein Jahr hinweg durch jede Region der Welt. In den Monaten September bis Dezember sind afrikanische und amerikanische Ländern Gegenstand des Gebets. Einige dieser Fürbitten wollen wir nun exemplarisch vor Gott bringen:
- Für die Länder Elfenbeinküste, Togo und Benin: Wir bitten um demokratischere Regierungen, die nicht bestechlich sind und die das im Blick haben, was die Menschen am meisten brauchen.
- Für die Länder Ghana und Nigeria: Wir bitten um gerechte und friedliche Beziehungen zwischen den Mitgliedern der verschiedenen ethnischen Gruppen sowie zwischen Muslimen und Christen.
- Für die Länder Costa Rica, El Salvador und Nicaragua: Wir beten für Kinder und junge Menschen, die durch Gewalt traumatisiert sind und in andere Länder flüchten
- Für die USA und Kanada: Wir beten für die indigenen Völker in ihrem langen Kampf ums Überleben, um Land und um Rechte; und um anhaltende Heilung und Versöhnung mit jenen, die sie verfolgt haben.
Wir fassen unsere Bitten im Vater unser zusammen.